Eva Maltschnig
Dominik Roth
Oliver Zwickelsdorfer
Wenige Tage vor dem Landesparteitag am 27. April 2019 wird den
Delegierten ein Vorschlag für eine Reform der Statuten der SPÖ Wien
vorgelegt. Für eine Diskussion der Vorschläge bleibt wenig Zeit. Eine
Einbindung breiter Teile der Partei war bei der Erstellung der
Reformvorschläge nicht vorgesehen. Dabei braucht die SPÖ dringend eine
Diskussion über die Öffnung und Demokratisierung ihrer Strukturen.
Schritte in diese Richtung werden mit dieser Statutenreform allerdings
kaum gesetzt.
Die SPÖ-Matrjoschka
Wir setzen uns als Sektion Acht seit vielen Jahren dafür ein, dass
die Entscheidungswege zwischen Mitgliedern und Parteispitze verkürzt
werden. Wir halten das für nötig, weil die derzeitige verschachtelte
Organisationsstruktur intransparent, kostenintensiv und völlig aus der
Zeit gefallen ist. Sie schaut aus wie eine 130 Jahre alte
Matrjoschka-Puppe.
Um das zu illustrieren, sei an dieser Stelle die Zusammensetzung der
Delegierten des Landsparteitags erklärt. Am Parteitag delegiert sind:
- die Mitglieder des Wiener Ausschusses. Dieses Gremium besteht aus den Mitgliedern des Wiener Vorstandes, den Bezirksparteivorsitzenden, den hochrangigen MandatarInnen und FunktionärInnen und einigen Organisations-VertreterInnen. Alle wesentlichen politischen Figuren der SPÖ Wien sind darin enthalten.
- der Wiener Frauenvorstand
- der Wiener Prüfungsausschuss
- etliche Delegierte der Organisationen
- 120 GewerkschafterInnen
- 600 Bezirksdelegierte. Von ihnen werden je 6 als “Grunddelegierte” jedem Bezirk zugestanden, der Rest, also 462 Delegierte, werden nach Mitgliederstärke an die Bezirke vergeben.
Das Matrjoschka-Prinzip bedeutet also, dass die Mitglieder der
relevantesten Gremien immer automatisch auch im nächsten Gremium
delegiert sind. Wer im Parteipräsidium ist, ist automatisch im
Parteivorstand. Wer im Parteivorstand ist, ist automatisch im Wiener
Ausschuss. Wer im Wiener Ausschuss ist, ist automatisch am
Landesparteitag. Gremium für Gremium wird eine Schicht ergänzt, die
größte Matrjoschka, der Wiener Landesparteitag, zählt knapp 1.000
Delegierte. Nur knapp die Hälfte dieser Delegierten werden nach
Mitgliederstärke verteilt, der große Rest ist qua Funktion delegiert.
VerfechterInnen dieser verschachtelten Delegierungsmodalität loben das
Matrjoschka-Prinzip für seine ausgleichende Wirkung, der Kompromiss ist
quasi im System eingebaut.
Wir finden, dass neben mangelnder Transparenz diese Struktur ein
massives Entscheidungs-Übergewicht im hauptamtlichen Teil der SPÖ
produziert. Es macht die Partei starr, träge und stellt eine maximale
Distanz zwischen Mitgliedern und Entscheidungen her.
Das neue Statut sieht nun vor, diese größte Matrjoschka nur noch alle
zwei Jahre zum Einsatz zu bringen. Eine kleinere Variante des
Landesparteitags, die Wiener Konferenz, soll in den alternierenden
Jahren tagen und über Anträge entschieden. Der Matrjoschka-Modus bleibt
unangetastet: Zusätzlich zum Wiener Ausschuss und den “den der SPÖ
zurechenbaren Mitgliedern der Stadtregierung” [1] werden einige
Organisationsdelegierte, 150 Bezirksdelegierte, von denen nur 104 nach
Mitgliederstärke verteilt werden, sowie 30 Delegierte der Gewerkschaft
auf der Wiener Konferenz stimmberechtigt sein. Statt knapp 1.000
Delegierte stimmen etwa 350 über die Anträge ab, ein knappes Drittel
davon wird über einen Mitgliederschlüssel an die Bezirke verteilt. Der
Anteil jener Delegierten, die nicht hauptamtlich für die SPÖ tätig sind,
wird deutlich sinken, der Einfluss jener, die ohnehin regelmäßig in
politische Entscheidungen der Partei eingebunden sind, steigt im
Verhältnis weiter an. Die Wiener SPÖ wird damit noch mehr zur
Funktionärspartei, als sie es bereits ist. Das ist aus unserer Sicht das
Kernproblem dieser Statutenänderung.
Es ist unbestritten, dass Landesparteitage mit 1.000 Delegierten kostspielige Angelegenheiten mit teilweise zweifelhafter Debattenqualität sind. Demokratische Entscheidungen könnten viel simpler, klarer und billiger (z.B. durch die Direktwahl von ParteifunktionärInnen durch die Mitglieder) durchgeführt werden. Durch die Einführung von diesem neuen Gremium wird aber kein einziges Mitglied neu oder zusätzlich eingebunden werden. Debatten laufen kontrollierter und vorhersehbarer ab, ein “Faux-Pas” wie die Abschaffung des kleinen Glücksspiels wird in Zukunft noch unwahrscheinlicher werden.
Ausgewählte Änderungen im Detail
Viele der vorgeschlagenen Änderungen sind eher redaktioneller Natur:
So werden Gremien, die real nicht existieren und keine Bedeutung für die
Parteiarbeit haben (wie zum Beispiel der Sektionsbildungsausschuss oder
die Vertrauenspersonenversammlung), ersatzlos abgeschafft. Die
Gastmitglieder, die als neue Mitgliedschaftskategorie bundesweit
eingeführt wurden, werden nun auch im Statut der SPÖ Wien
berücksichtigt. Andere Änderungen hingegen verändern die Funktionsweise
der Wiener Partei wesentlich.
Funktionsdauer der Sektionsgremien (§ 6)
Durch die Reform wird die Wahlperiode für Sektionen mit zwei Jahren
festgesetzt. Bisher waren grundsätzlich Wahlen der Mitglieder des
Sektionsausschuss und der Sektionskontrolle auch in Jahresabständen
möglich. Die Bezirkskonferenz konnte über die Funktionsdauer der Organe
in ihrem Bereich entscheiden. Gerade neue Mitglieder haben dadurch nun
seltener die Möglichkeit, in Funktionen Verantwortung für die Partei auf
Sektionsebene zu übernehmen. Eine Beibehaltung der flexibleren Regelung
wäre unserer Meinung nach sinnvoll gewesen.
Sektionsausschuss (§ 7)
Die Zusammensetzung des Sektionsausschusses wird neu geregelt: So
gibt es nun in jeder Sektion verpflichtend einen JG-Referenten oder eine
JG-Referentin. Der Katasterführer bzw. die Katasterführerin (eine Art
MitgliederreferentIn) wird als Funktion im Sektionsausschuss
abgeschafft. Aus Erfahrung wissen wir, wie wertvoll es für eine
funktionierende Sektion ist, dass Mitglieder und insbesondere auch neue
AktivistInnen eine institutionalisierte Ansprechperson für Fragen aller
Art in der Sektion haben. Dass gerade diese Position abgeschafft wird,
anstatt sie in einen tatsächlichen Mitgliederreferenten/eine
Mitgliederreferentin zu verwandeln, können wir nicht nachvollziehen.
Funktionsdauer der Bezirksgremien (§ 13)
Analog zur Sektionsebene wird auch im Bezirk eine zweijährige
Funktionsperiode festgelegt. Wir erachten diese Änderung auf
Bezirksebene aber als weit weniger problematisch als jene auf
Sektionsebene. Dennoch bezweifeln wir die Sinnhaftigkeit dieser nun
verpflichtenden 2-jährigen Funktionsdauer.
Bezirkskontrolle (§ 20)
Der Bezirkskontrolle die Überprüfung der Umsetzung von Anträgen sowie
der Quotenregelung als Aufgabengebiet zu übertragen, halten wir für
eine sinnvolle Ergänzung.
Landesparteitage in jedem zweiten Jahr (§ 28)
Die wohl wichtigste und gleichzeitig auch problematischste Änderung
im neuen Statut der SPÖ Wien ist die Regelung, den Landesparteitag nur
mehr in jedem zweiten Jahr zusammentreten zu lassen. Der Landesparteitag
ist in seiner Zusammensetzung jenes Gremium der SPÖ Wien, das alle
Teile der Partei repräsentiert und die Mitgliedschaft in ihrer Vielfalt
am besten abbildet.
Aufgrund seiner Größe nehmen an seiner Tagung nicht nur die führende
FunktionsträgerInnen auf Landes- und Bezirksebene teil, sondern auch
viele VertreterInnen der Sektionen, die sonst in keine weitreichenden
politischen Entscheidungen eingebunden sind. Annähernd die Hälfte der
knapp 1.000 Delegierten des Landesparteitages werden nach
Mitgliederstärke verteilt. Er ist dadurch auch ein guter Indikator
dafür, welche Positionen die Mehrheit der aktiven Mitglieder vertritt.
Gremien, in denen hauptsächlich hauptamtliche FunktionsträgerInnen und
MandatarInnen vertreten sind, bilden die in der SPÖ Wien vertretenden
Meinungen und Positionen hingegen deutlich schlechter ab.
Wiener Konferenz statt jährlichen Tagungen des Landesparteitags (§ 29)
Als Ersatz für die jährliche Tagung des Landesparteitages ist die
Abhaltung von Tagungen der Wiener Konferenz gedacht. Diese bestehen aus
einer deutlich kleineren Anzahl von Mitgliedern (etwa 350), sollen aber
in jenen Jahren, an denen keine Tagungen des Landesparteitags
stattfinden, die Aufgabe der Beschlussfassung über die Anträge der
„antragsberechtigten“ Gliederungen und Organisationen übernehmen. Dies
ist neben der Wahl der Mitglieder des Vorstands die wichtigste Aufgabe
des Landesparteitags.
Die deutlich geringere Zahl der Delegierten bedingt, dass vor allem
„höherrangige“ FunktionsträgerInnen aus den Bezirks- und
Vorfeldorganisationen als Delegierte vertreten sein werden. Nur noch
etwa 30% der teilnehmenden Delegierten werden nach Mitgliederstärke
bestimmt. Dies macht die Ergebnisse der Abstimmungen über die Anträge
besser vorhersehbar und für die Parteiführung auch leichter steuerbar.
Die Zahl der Delegierten der sozialdemokratischen Organisationen (z.B.
BSA, VSStÖ, usw.) wird teilweise auf ein Sechstel reduziert. Die Zahl
der Bezirksdelegierten reduziert sich auf ein Viertel (mindestens 150
statt 600). Dies führt auch dazu, dass Sektionen aus “kleinen Bezirken”
gar nicht mehr vertreten sein werden. Macht der Wiener Ausschuss von der
Möglichkeit gebrauch, die Delegiertenzahl für die Bezirke mit mehr als
150 anzusetzen, so wird das Gewicht der sozialdemokratischen
Organisationen noch weiter sinken, da deren Repräsentation eine fixe
Delegiertenzahl vorsieht.
Zudem ist die Abgrenzung zwischen dem weiteren (Landesparteitag) und
dem engeren Gremium (Wiener Konferenz) nicht definiert. Es bleibt
unklar, welche Aufgaben die Konferenz statt des Parteitags wahrnehmen
kann. Das liegt auch daran, dass die Regelungen zum Landesparteitag im
Detail im Statut ausgeführt sind (Teilnahme, Delegierungen der
Bezirksorganisationen, Einberufung, Anträge). Zur Wiener Konferenz
findet sich allerdings nur ein kurzer Absatz im Statut wieder, die
Details sollen erst im Wiener Ausschuss beschlossen werden.
Mitgliederbefagung (§ 46)
Als einzige kleine Konzession an Mitglieder-Mitbestimmung wird die
neue Regelung des SPÖ Bundesstatuts nachgezogen, wonach in Zukunft ein
schriftliches Verlangen von 5% der Mitglieder statt wie bisher 10%
reicht. Neu ist jedoch, dass zusätzlich aus mindestens 8 Bezirken 25%
der Mitglieder schriftlich eine Mitgliederbefragung verlangen müssen, um
das nötige Quorum zu erreichen. Das Ergebnis der Befragung ist jedoch
weiterhin nicht bindend. Auch in Anbetracht des eher geringen
Enthusiasmus der Wiener Landespartei in der Statutenreform der
Bundes-SPÖ kann man aus diesem kleinen Abschnitt keine besondere Freude
an der Öffnung oder Demokratisierung der Wiener SPÖ herauslesen.
Was man stattdessen machen sollte
Die Verkleinerung von Parteigremien lehnen wir nicht grundsätzlich
ab, im Gegenteil. Oftmals wird in kleineren Gremien anders diskutiert,
einzelne Personen kommen öfter zu Wort und können ihren Standpunkt somit
besser darstellen. Eine Verkleinerung ist aber dann problematisch, wenn
sie nicht mit der umfassenden Demokratisierung der Wahl der Delegierten
einhergeht. Denn nur so kann vermieden werden, dass nur
SpitzenfunktionärInnen die inhaltliche Linie der Partei vorgeben.
Dabei wären gerade jetzt Schritte in die gegenteilige Richtung dringend notwendig. Folgende Maßnahmen täten unserer Meinung nach not: Vorwahlen für den Gemeinderat und die Bezirksvertretungen, Direktwahlen für Parteiämter sowie eine bessere Abbildung von Minderheitenpositionen. – All das findet sich in dem vorgelegten Statutenentwurf nicht wieder. Unsere Forderungen finden sich im Detail hier: 10 Forderungen für eine Organisationsreform der SPÖ Wien (SPÖ-Landesorganisation Wien) aufbauend auf dem Beschluss der Konferenz der Sektion 8 am 13.12.2014.
Die Delegierten der Sektion 8 werden dem Statutenentwurf daher am Landesparteitag nicht zustimmen.
[1] Dieser Passus dürfte nur Veronika Kaup-Hasler betreffen, da alle anderen Mitglieder der Stadtregierung Mitglieder des Wiener Ausschusses sind.